Jürgen Rintelen, Mitglied der Priestergemeinschaft
aus: Mitten in der Welt, Heft 171, 2005

Was bedeutet eigentlich eine Selig- oder Heiligsprechung?
Zur Klarstellung vorweg: Für die Betroffenen und für das Verhältnis von Gott zu ihnen (und umgekehrt) bedeutet so eine Feier oder "Erhebung" gar nichts. Wer selig gesprochen wird, rückt im Himmel keinen Rang höher, wenn es dort überhaupt Ränge gibt. Und wenn es sie gibt, kann auch kein Papst und keine Kurie darüber befinden, wer dort an welchen Platz gelangen soll. Das ist allein Gottes Sache.

Selig- und Heiligsprechungen, die ganze Heiligenverehrung zielen auf uns Erdenbürger ab, manchmal vor allem auf bestimmte Gruppen oder auf die Gläubigen bestimmter Länder. Es geht im Grunde um die Frage, ob Menschen, die für andere Bedeutung erlangt haben, für diese tatsächlich Anregung, ja Vorbilder auf ihrem Lebensweg sein können. Es ist ja gar nicht so, dass sie alle schon von Anfang an als Heilige gelebt hätten, wie das in manchen Legenden erzählt wird. Viele haben ihr Leben erst im Lauf der Zeit ganz neu auf Gott und ihre Mitmenschen ausgerichtet. Gerade die Berühmtesten, denken wir nur an Franz von Assisi, an Ignatius von Loyola, auch an Teresa von Avila und viele andere, haben ganz deutliche Bekehrungserlebnisse hinter sich und sind dann Wege gegangen, die sie mit der kirchlichen Obrigkeit in Konflikte gebracht haben. Gar nicht selten hat es nach ihrem Tod noch Jahrzehnte gedauert, bis diese Konflikte für ihre Gründungen und Gemeinschaften überwunden waren.


Dann war oder ist eine Selig- oder Heiligsprechung die Bestätigung durch die Verantwortlichen in der Kirche: Ja doch, die Lebensweise dieses Menschen war - zumindest in der letzten Phase - vorbildlich für ein Leben aus dem Glauben. Und was er oder sie auf den Weg gebracht hat (oft sind das ja geistliche Gemeinschaften oder Orden), hat einen berechtigten Platz in der Kirche. Auch wenn das am Anfang vielleicht sehr unsicher schien oder, wie man oft sagt, wenn sie ihrer jeweiligen Zeit weit voraus waren und zunächst unverstanden blieben. Was sie erspürt und gewirkt haben, war offensichtlich doch von Gottes Geist bewegt.


Nun sind aber schon jene Heiligen, die wir namentlich kennen und ehren, so vielfältig und untereinander verschieden, dass niemand alle zugleich zum Vorbild für sein Leben als Christ nehmen kann: Hedwig, Birgitta von Schweden, Kaiser Karl, Bruder Klaus von Flüe, Franz von Assisi, Katharina von Siena usw. Oh ja, es gibt sehr verschiedene Wege zur Vollendung in Gott. Und doch kommen alle in einem überein: in der Ausrichtung auf das Evangelium. Oder noch direkter: in der Ausrichtung auf Jesus selbst, der für uns Mensch geworden ist. Sie alle haben versucht, ihr Leben jeweils an ihrem Platz nach seinem Leben und seiner Lehre zu gestalten, deren Kern Jesus selbst so benannt hat: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen und mit aller Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst. Und die Seligpreisungen lassen sich doch so zusammenfassen: Selig, wenn ihr Christus ähnlich werdet, vom Verhalten im Zusammenleben in dieser Welt bis hinein ins Leiden. Solches Leiden ist doch nicht eine extra Strafaktion Gottes für bestimmte Menschen, sondern eine Folge all der Verkehrtheiten, die von alters her und immer wieder durch die Sünde in unser Verhalten geraten sind. Christus hat das Leiden ausgehalten und sich darin ganz in die Hand des Vaters gegeben - und ist so in die Vollendung eingegangen. Auch in diesem schweren Wegstück können, ja dürfen wir ihm verbunden bleiben.