Hymnus von Rabanus Maurus
in der Übersetzung von Georg Thurmayer

 

Komm, Schöpfer Geist, komm, brich herein,                  
dring tief in unser Wesen ein.
Erfüll mit Gnaden, was Du schufst,
brich auf die Herzen, die Du rufst.
 
Du unser Beistand in der Zeit,
des Allerhöchsten Gütigkeit,
des Lebens Ursprung, Liebesglut,
des Geistes Salbung, Glaubensmut.
 
Du siebenfacher Gnadenbrand -
Dem Finger gleich an Gottes Hand -
Verheißner Gast in unsrer Nacht,
der stumme Zungen reden macht.
 
Glüh auf, der Sinne Licht zu sein,
gieß Liebe in die Herzen ein,
bring unsern Leib in Dienstbarkeit,
dass deine Kraft uns Sieg verleiht.
 

Treib den Versucher von uns weit,
schenk Frieden uns und aller Zeit;
geh du voran, sei Weg und Stern;
halt Unheil und Gefahren fern!


Mach uns den Vater offenbar,
laß uns den Sohn erkennen wahr;
schließ auf, was wir in dir erkannt,
den beider Liebe uns gesandt!


Lob sei dem Vater auf dem Thron,
Lob seinem auferstandnen Sohn,
Lob dir, dem Geist, der Trost verleiht,
jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.


- Sende aus deinen Geist, und es wird eine neue Schöpfung,
- Und du wirst das Angesicht der Erde erneuern! 

Gedanken zur Besinnung zum Geist-Hymnus

Komm, Schöpfer Geist, komm, brich herein,
dring tief in unser Wesen ein.
Erfüll mit Gnaden, was Du schufst,
brich auf die Herzen, die Du rufst.


Komm, brich herein, dring ein - sogar: dring tief ein, erfülle - mit Gnaden und noch einmal: brich auf - die Herzen, die du rufst
Starke Verben bestimmen den Auftakt des Geisthymnus. Der Heilige Geist wird aufgefordert zu kommen - hereinzubrechen - einzudringen - zu erfüllen - aufzubrechen.
Es sind Verben, die auch etwas Gewaltsames bedeuten können: einbrechen - aufbrechen - eindringen.
Im allgemeinen wehren wir uns gegen Eindringlinge, Einbrecher, Aufbrecher und schützen uns vor ihnen, bauen Mauern.... Die beiden Übersetzungen aus dem Gotteslob sind in dieser Strophe viel weniger radikal. Vielleicht brauchen wir gerade heute solch starke Verben, um unserer oft verschütteten Sehnsucht danach Ausdruck zu verleihen, der Geist möge aus unserem kraftlos gewordenen Alltag neues Leben hervorlocken.
Viele Menschen sehnen sich nach mehr Leben, mehr Lebendigkeit - auch in unserer Kirche. Sie sehnen sich danach, die Geistesgaben in sich selbst zu entdecken, und nach Räumen, in denen diese sich entfalten können. Die Wahl der starken Verben provoziert geradezu die Frage, wer das ist, der da gerufen wird, einzudringen, ein- und aufzubrechen. Es ist Heiliger Geist, schöpferischer Geist, der schon am Anfang der Schöpfung die Struktur, die dem Chaos innewohnt, sichtbar macht. Dieser Heilige Geist ist nur schwer zu beschreiben, er hat viele Namen. Gleich zwei Strophen sind voll davon.


Du unser Beistand in der Zeit,
des Allerhöchsten Gütigkeit,
des Lebens Ursprung, Liebesglut,
des Geistes Salbung, Glaubensmut.


Du siebenfacher Gnadenbrand -
Dem Finger gleich an Gottes Hand -
Verheißner Gast in unsrer Nacht,
der stumme Zungen reden macht.


Beistand, Güte, Ursprung des Lebens: Ursprung und Quelle, die nie versiegt.
Viele fühlen sich heute ausgebrannt, vertrocknet, erstarrt, weil sie ständig gefordert sind und pausenlos geben müssen. Die Anrede "Ursprung des Lebens" kann uns ins Bewusstsein rufen, dass die Quelle des Hl. Geistes dennoch ständig in uns sprudelt und uns erfrischen und stärken will.
Glut der Liebe, Salbung - die Wunden heilt und uns zu der Aufgabe beruft, die jedem von uns zukommt
Glaubensmut - Mut zum Glauben - Mut, der aus dem Glauben erwächst
Gnadenbrand, Finger an Gottes Hand, Verheißung in unserer Nacht, unserem Dunkel. Er gibt unserer Stummheit Sprache. Alle Anreden können diesen Heiligen Geist, der da in uns eindringen und uns aufbrechen soll, nicht fassen. Und so scheint es, dass Rabanus Maurus einen zweiten Anlauf wagt, der stärker auf das Wirken dieses Geistes ausgerichtet ist:


Glüh auf, der Sinne Licht zu sein,
gieß Liebe in die Herzen ein,
bring unsern Leib in Dienstbarkeit,
dass deine Kraft uns Sieg verleiht.


Er soll in uns aufglühen wie Licht, unsere Sinne hell machen, aufmerksam und wach - empfänglich, damit wir mit allen Sinnen diese Welt wahrnehmen. Wer mit wachen Sinnen seinen Alltag erlebt, der kann ganz da sein. Denn unsere Sinne bringen uns in Beziehung zur Wirklichkeit. Oft spüren wir nicht mehr, was um uns herum vorgeht, weil wir mit unseren Gedanken an Vergangenem haften oder schon in der Zukunft angekommen sind - und die Gegenwart vernachlässigen. Die Sinne sind unser Organ der Gotteserfahrung. Wir erfahren Gott nicht mit unserem Verstand. Die Sinne helfen uns, aus den vielen Stimmen die Stimme Gottes herauszuhören.
Er soll Liebe in die Herzen gießen, die Liebe Gottes, des Vaters, und so zur Energie für Herz und Sinne werden, die Energie unseres Wesens, unseres Seins werden, die uns fähig macht zur Liebe. Im Heiligen Geist fließt die göttliche Liebe durch unser Herz und unseren Leib. Ihn soll sie in Dienstbarkeit bringen - unseren Leib, den Ausdruck und Träger unserer Gedanken und Worte Erfahrungen und Taten. Die Liebe Gottes soll das zerbrechliche Gefäß unseres Leibes mit neuer Kraft durchdringen. Sie will in uns Mensch werden!


Treib den Versucher von uns weit,
schenk Frieden uns und aller Zeit; g
eh du voran, sei Weg und Stern;
halt Unheil und Gefahren fern!


Den Versucher soll er weit weg treiben. Er soll Frieden schenken - uns - unserer Zeit - allen Zeiten. Er soll vorangehen, damit wir uns an ihm orientieren, uns von ihm leiten lassen, so dass Unheil und Gefahren uns zutiefst nicht gefährden.


Mach uns den Vater offenbar,
laß uns den Sohn erkennen wahr;
schließ auf, was wir in dir erkannt,
den beider Liebe uns gesandt!


Er soll uns den Vater zeigen, uns helfen, den Menschensohn zu erkennen, in dem der Vater sich ausdrückt.
Er soll sich uns schließlich selbst erschließen, uns sein Wirken erfahren lassen, sein Wirken, das in der Liebe des Vaters und in Jesus seinen Ursprung hat.


Lob sei dem Vater auf dem Thron, L
ob seinem auferstandnen Sohn,
Lob dir, dem Geist, der Trost verleiht,
jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.


An den Lobpreis für den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist schließt sich nun in der von Charles de Foucauld empfohlenen - und offensichtlich in der kirchlichen Tradition schon bekannten Praxis - noch an:


- Sende aus deinen Geist, und es wird eine neue Schöpfung,
- Und du wirst das Angesicht der Erde erneuern!


Es handelt sich dabei um einen Vers am Ende von Psalm 104 (V.30). Dieser Psalm ist ein Schöpfungspsalm, und so schließt sich der Kreis zur 1. Zeile: "Komm, Schöpfer Geist....!" Gott hat durch sein Wort, seinen Atem, die Welt ins Dasein gerufen. Im Atem, den wir jeden Augenblick in uns einziehen, können wir erahnen, dass und wie er uns ständig neu belebt und uns mit seiner Gegenwart erfüllt - durch den Hauch seines Geistes.

 


Anregungen für eine persönliche Besinnungszeit oder für ein Gespräch in der Gruppe:

1. Wie geht es mir mit der Vorstellung, dass der Geist Gottes in mich eindringen und mein Herz aufbrechen soll?

2. Ich lasse die Anreden und Bitten zum Heiligen Geist in diesem Hymnus auf mich wirken und verweile eine Zeit lang da, wo ich mich besonders angesprochen oder angerührt fühle.

3. Das Geschenk des Auferstandenen ist der Heilige Geist. Es ist der Geist, der Leben schafft. Ich bin beschenkt mit Gottes Leben schaffendem Geist, dem ich in meinem Leben Raum geben soll und der durch mich weiter wirken soll.
- Spüre ich das Wirken Gottes in meinem Leben?
- Kann ich das Wirken des Geistes in mir zulassen?
- Ich versuche, die Spuren zu entdecken, die der Geist Gottes in meinem Leben bereits hinterlassen hat, und formuliere meinen Dank und meine Bitte an den Heiligen Geist.
Marianne Bonzelet